Amazon baut im Hintergrund kontinuierlich an der Infrastruktur, um ein Schwergewicht im Gesundheitswesen zu werden. Doch welches Marktsegment könnte als nächstes folgen?
Es sieht ganz danach aus, als plane Amazon, den Markt für verschreibungspflichtige Medikamente ähnlich umzugestalten, wie es vor 30 Jahren im Buchhandel geschah: Niedrigere Preise, einfache Bestellvorgänge und komfortable Lieferung direkt nach Hause.
Bereits seit dem Kauf der Online-Apotheke PillPack im Jahr 2018 ist Amazon in der Medikamentenbranche aktiv. Doch erst mit der Einführung von Amazon Pharmacy im November 2020, mitten in der Covid-19-Pandemie, bekam das Geschäft wirklich Schwung. Damals war der Gang in die Apotheke oft beschwerlich, und die Möglichkeit, Medikamente für chronische Erkrankungen wie Diabetes oder COPD bequem online zu bestellen, wurde sehr attraktiv. Prime-Mitglieder profitierten zusätzlich von bis zu 80 % Rabatt auf Generika und 40 % auf Markenmedikamente, inklusive kostenloser Zwei-Tage-Lieferung.
Die Markteinführung von Amazon Pharmacy verlief anfangs jedoch relativ unspektakulär.
Andere Unternehmen, vor allem Apotheken im Ausland wie in Kanada, versendeten bereits seit Jahren Medikamente zu günstigen Preisen in die USA. Auch Krankenversicherungen hatten begonnen, ihren Kunden Rabatte anzubieten, wenn sie den Versandhandel nutzten.
Damals galt Amazon Pharmacy eher als eines von vielen Experimenten des Unternehmens. Viele dachten, es gehe lediglich darum, den Umsatz mit Prime-Mitgliedern ein wenig zu steigern, ähnlich wie bei früheren, weniger erfolgreichen Vorstößen in den stationären Handel.
Da Amazon keine detaillierten Umsatzzahlen für den Medikamentenverkauf veröffentlichte, blieb unklar, wie sich das Geschäft entwickelte – bis im Sommer 2023 ein internes Dokument an die Öffentlichkeit gelangte. Laut diesem Bericht plante Amazon, im Jahr 2024 etwa 3 Milliarden US-Dollar im Gesundheitssektor zu erwirtschaften, was einem Anstieg von 30 % gegenüber dem Vorjahr entspricht.
Besonders bemerkenswert war der erwartete Anstieg der Apothekenverkäufe um 45 %, was rund 1,8 Milliarden US-Dollar ausmachen sollte.
Ein wichtiger Meilenstein war die Erweiterung des RxPass-Abonnementdienstes im Juni 2023 auf Medicare-Prime-Mitglieder, was viele Skeptiker endgültig überzeugte, dass Amazon ernsthaft in den Versandhandel mit Medikamenten eingestiegen war.
Greg Zakowicz, E-Commerce-Experte bei Omnisend, kommentierte gegenüber Business Insider, dass vor allem die Babyboomer, die oft mit hohen Medikamentenkosten kämpfen, von den günstigen Preisen profitieren. Durch die wachsende Medikamentenpalette und die bereits bestehende Nutzerbasis habe Amazon die Chance, zu einer der führenden Apotheken in den USA aufzusteigen.
Angesichts der Tatsache, dass Branchengrößen wie CVS und Walgreens Boots Alliance im vergangenen Jahr jeweils Umsätze von über 90 Milliarden US-Dollar allein mit verschreibungspflichtigen Medikamenten erzielten, wäre dies eine beachtliche Leistung.
Neil Saunders von GlobalData bemerkte kürzlich gegenüber den Branchenportal PYMTS.com, dass der Online-Markt für Medikamente zwar noch klein sei, aber Amazons Wettbewerber im stationären Handel durch nachlassenden Kundenservice zunehmend Kunden an den Online-Markt verlieren. Dies könnte Amazon in die Karten spielen.
Vergleicht man die Situation mit der Buchbranche, die Amazon vor Jahrzehnten disruptierte, fällt auf, dass es Parallelen gibt: Ein fragmentierter Markt und große Player, die Schwierigkeiten haben, mit den Veränderungen Schritt zu halten. Amazon scheint diese Nische erneut gefunden zu haben.
Die spannende Frage lautet: Welche Branche könnte Amazon als nächstes ins Visier nehmen?
